Mapping als Bildrhetorik. Das karto- und abstrakt-graphische Denken der frühneuzeitlichen Publizistik

International audienceAls bimediales Medium für die Vielen rezipieren die illustrierten Flugblätter der Frühen Neuzeit die gängigen epochalen Text- und Bildgattungen, nicht zuletzt die Kartographie, deren wachsende gesellschaftliche Bedeutung sie reflektieren und auch mitprägen. Kartogramme gehören neben den Ikonogrammen (U. Eco), den Geogrammen (A. Berque) und sonstigen Diagrammen (etwa in den "Thesenblättern") zu den bevorzugten bildrhetorischen - metonymischen bzw. metaphorischen oder allegorischen - Mitteln der Flugblattpublizistik. Wird in der antiken textuellen Rhetorik zwischen Topographie und Topothesie unterschieden, so setzt die bildgestützte Kartographie ebenfalls eine territoriale, entweder "wirkliche" oder rein imaginäre Verankerung voraus. Auf den textierten Kupferstichen haben die der Geographie zugehörigen Mappae mundi sowie die ichnographischen Abrisse der regionalen Chorographien einen deutenden Wert, soweit sie nicht bloß als Blickfang bzw. Gedächtnisstütze fungieren. Bei den letzt genannten ist die Grenze zwischen der "eigentlichen Abbildung", der "Abkontrafeyung", dem "Abriss" oder gar dem "Portraict", sprich der mimetischen Nachzeichnung eines begrenzten Gebietes, und dem abstrakteren "Grund-Verzeichnis", der ggf. skalierten Karte mit Koordinaten und dekorativen zeichnerischen Einsprengseln, nicht immer einfach zu ziehen. Vielmehr beobachtet man quasi einen fließenden Übergang von der Kavaliersansicht zum Lageplan (z. B. von einer Schlacht) und zum Kartenausschnitt. Darüber hinaus erlangen Kartogramme auch eine metaphorische Bedeutung: Angefangen von der die Oben-unten-Metapher aktivierenden mittelalterlichen T-Karte über den umgestülpten "Erdapfel" als Reichsapfel oder den Globus mit der Narrenkappe bis hin zur räumlichen Semantik der Meilenscheiben und der Chorographien, die Machtzentren festlegen und territoriale Machtausdehnung zeigen. Manche Militär- und Kavalierperspektiven zeichnen einen Herrscher vor dem Hintergrund seiner Besitztümer. Verschwindet er vom Bild, so wird er in einem Medaillon oder in der Überschrift vergegenwärtigt. Die frühabsolutistische Karte ist eine Demonstration von Macht, eine Topoprosopographie (L. Marin) in absentia. Die diagrammatischen Meilenscheiben der reichen süddeutschen Handelsstädte symbolisieren die im Frühkapitalismus einsetzende Verdichtung des Raums und der Zeit. Aber schon zu Beginn der Neuzeit werden die Kritiken an der ersten Globalisierung und am gekerbten Raum (G. Deleuze) der Welteroberer laut: So tadelt Sebastian Brant im Narrenschiff die frühmoderne Vermessenheit der Landvermessung. Schließlich verdienen auch die damals beliebten allegorischen Karten von Ländern in Form einer Rose, eines Adlers, eines Löwen, einer sitzenden Dame, eines Paares oder gar eines Dudelsackspielers besonderes Augenmerk und eine erschließende Deutung