Der Sinn des Leidens in der Tragödie

Wie Sophokles in seinem Oedipus Coloneus darstellt, stirbt Ödipus, der Vatermord und Blutschande begangen hat, nach der langjährigen und peinlichen Wanderung schliesslich veredelt als Heros oder sogar als Genius von Athen. Warum und wie kann ein solcher Sünder die Heiligkeit erreichen? Was kann die Brücke vom Laster zur Ehre schlagen? Das ist unsere Frage. Und man kamm die Frage über die Sage vom Gregorius stellen, der auch schwere Sünder war und endlich zum Papst erwählt wurde. Doch die Antwort bei Ödipus ist von derjenign bei Gregorius verschieden. Was diesen betrifft, ist es zweifellos die göttliche Gnade oder Vorsehung, die die wunderbare Verwandlung stattfinden läßｔ. Gregorius wurde einmal durch seine Sünde von der Gnade entfernt, und dann gewann er sie wieder durch die Buße auf dem Steine. Bei jenem aber ist seine Heiligung nicht die äußere, sondern vielmhr die innere, die durch seine Selbstüberwindung erreicht wird. Er steigy sich selbst über in dem Erlebnis des Leidens, das ihn, innerlich als das Sündenbewußtsein und äußerlich als das Mühsal der Wanderung, bis zu seinem Daseinsgrunde durchdringt. Durch deises Erlebnis gewinnt Ödeipus, der anfänglich ganz passiv seinem eigenen Schicksal verfallen, endlich dei höchste Akivität dagegen. Es ist 〟amor fati,〝 sich gegen die Wirklichkeit in und außer sich ganz passiv und zugleich höchst akitiv zu verhalten. Das Leidenserlebnis lehrt Ödipus amor fati, wodurch er sich selbst zum Übermenschlichen übersteigen kann