Die Verortung des Schreckens: Zum räumlichen Imaginären der 'Gothic novel'

Vor dem Hintergrund des 'spatial turn' untersucht der Beitrag die zentrale Rolle des Raums in der Gattung der 'Gothic novel'. Wie gezeigt wird, verdankt sich die spezifische Relevanz des Schauplatzes im Schauerroman besonders zwei Tatsachen, die sich gattungstheoretisch und ästhetikgeschichtlich beschreiben lassen. Erstens ist die 'Gothic novel' die wohl einzige literarische Form, die nach einem architektonischen Stil benannt ist und die – zumindest in ihren Anfängen – real existierende oder frei erfundene (pseudo-)gotische Bauwerke als Ausgangspunkte für ihre Plots wählt, und zwar nicht als bloße Kulisse für eine vom örtlichen Kontext weitgehend unabhängige Handlung, sondern als entscheidenden Motor dieser Handlung. Zweitens reagiert die 'Gothic novel' explizit auf ästhetische Auseinandersetzungen mit dem Begriff und der Theorie des Sublimen, wie sie die landschaftsarchitektonischen und kunsttheoretischen Debatten des ausgehenden 18. Jahrhunderts bestimmen. Das Konzept des Erhabenen gibt der Umwelt – und ihrer affektiven Wirkung – eine ganz neue Bedeutung: Bestimmte Landschaften und Orte werden zur Quelle des 'Schreckens' und lassen sich somit auch für den Schauerroman nutzbar machen. Illustriert wird dies anhand einer Gegenüberstellung des gattungsbegründenden Romans "The Castle of Otranto" von Horace Walpole (1764) mit Mary Shelleys einflussreicher Weiterentwicklung des Schauerromans in "Frankenstein" (1818)