Geschichte der Natur und Geschichte der Freiheit : Zur Problematik der geschichtsphilosophischen Gedanken bei Kant

Die philosophischen Gedanken über die Geschichte, die Kant in seinen einigen kleinen Schriften zum Ausdruck gebracht hat, bleiben im Ganzen eine Skizze, die recht unbestimmt, aber doch aufschlussreich ist. Im vorliegenden Aufsatz haben wir versucht, seine Grundgedanken zu erläutern und deren Grund in seiner kritischen Philosophie zu erörtern. Kants Gedanke über die Geschichte ist daducch ausgezeichnet, dass er in sich die zwei Anblicke der Geschichte, d. h. Geschichte der Natur und Geschichte der Freiheit enthält. Die Geschichte der Natur besteht in der Entwicklung der Naturanlage zur Menschheit, d. h. im Fortschritt der Kultur so wie in der Verwirklichung der bürgerlichen Gesellschaft. Dieser Begriff der Geschichte der Natur ist in der Lehre der "Zweckmässigkeit der Natur" in der dritten Kritik begründet. Gleichzeitig mit einer solchen Festlegung des Naturbegriffes in einer Art der Vorsehung kommt nur aber die Freiheit des menschlichen Subjekts in Frage. Dass das Gesetz der Freiheit, die die Kausalität des Intelligibelen ist, dasjenige moralische ist, was sich im "kategorischen Imperativ" ankündigt, das ist schon in der zweiten Kritik deutlich gemacht. Jenes innerste Faktum, dass uns das moralische Gesetz nur im Imperativ "Du sollst" zugänglich wird, bezeugt schon unverkennbar, dass wir auf dem Weg sind, der mit dem "Sündenfall" anfingt und durch die "Revolution der Gesinnung" zur "Heiligkeit" führt. Dieser Vorgang, der Fortschritt ist eine unzeitiche Reihe der intelligibelen Tat, die als Entwicklung der menschlichen Anlage zur "Persönlichkeit" die Geschichte der Freiheit ist. Die auf solche Weise aufeinander bezogene Zweiheit des Kantischen Anblicks der Geschichte, d. h. Geschichte der Natur und Geschichte der Freiheit, ist also am letzten Ort in dem Wesenscharakter des Menschen verwurzelt, der "sinnlich" und zugleich "übersinnlich" bleibt. Der obengenannte Grundgedanke über die Geschichte bei Kant belehrt uns, dass die Geschichte nicht bloss theoretisch-relativ angeschaut werden darf, sondern zugleich praktisch-absolut erblickt werden soll