Der 'Fall Schmerz' im Kontext des Verhütungsdiskurses der Zwischenkriegszeit : Freiwillige Sterilisationsoperationen im Spannungsfeld zwischen biopolitischen Machtvorstellungen und individuellem Freiheitsstreben

Die Regulierung der Fruchtbarkeit hatte bereits die gesamte Menschheitsgeschichte über eine wichtige gesellschaftliche Rolle gespielt. Erst ab dem 19. Jahrhundert aber führten Überbevölkerung, Armut und andere Folgen der Industrialisierung zu einem ? in seinem Ausmaß ? völlig neuen Interesse an Empfängnisverhütung. Die daraus entstehenden Diskurse stellten gerade in der Zwischenkriegszeit ein gesellschaftliches Konfliktfeld dar, auf dem teilweise entlang der politisch-gesellschaftlichen ?Lagergrenzen? vor allem biopolitische, eugenische und moralische Fragen verhandelt wurden. In diesen Auseinandersetzungen kam der operativen Sterilisation, insbesondere wenn sie an Männern durchgeführt wurde, eine besondere Bedeutung zu. Diese Arbeit untersucht einerseits mit spezieller Berücksichtigung der Situation in Österreich die vielen Facetten der Verhütungsdiskurse in der Zwischenkriegszeit und analysiert andererseits die Vorstellungen über die Sterilisation als Mittel zur Geburtenbeschränkung. Im Zentrum dieser Abhandlung steht deshalb die Affäre um den Grazer Chirurgen und Universitätsprofessor Hermann Schmerz (1881?1941), der ebensolche Eingriffe für Männer in sozialer Notlage propagiert und durchgeführt hatte, wofür er gerichtlich belangt wurde. Im Zuge der folgenden Verfahren vor Gericht (1929?1931) und vor einer universitären Disziplinarkommission (1928?1936) kamen sowohl in den Verhandlungen als auch in ihrer öffentlichen Aufnahme biopolitisch motivierte und aus verletzter Männlichkeit resultierende Einwände zum Vorschein, deren Analyse im Kontext des Verhütungsdiskurses ein bedeutenden Teil der Arbeit ausmacht. Die Kontroversen zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen des Arztes, die über die Grenzen Österreichs hinaus wirkten, werden ebenso untersucht wie die Auswirkungen der ?Affäre Schmerz? auf die Rechtssprechung, die wissenschaftliche Forschung und eine Reihe von gesellschaftlichen Bewegungen.Regulation of human fertility has been an important social matter throughout the history of humankind. But only in the 19th century overpopulation, poverty and other effects of industrialization created an entirely new interest in contraception. The discourses that followed provided basis for conflicts in the societies of the interwar period. Those controversies were carried on mainly between the dominating political and social fractions, who used the occasion to debate about biopolitical, eugenic, ethical and a number of other connected issues. In this context operative sterilization ? particularly of men ? was deemed especially unusual and, depending on the attitude, immoral. This study shows the many aspects of the discourses about contraception as they manifested themselves (in particular in interwar Austria) and the different attitudes towards sterilization as a means of birth control. Therefore, the main focus of this thesis lies on the ?Schmerz affair?. The surgeon and professor in Graz Hermann Schmerz (1881?1941) promoted male sterilization and performed surgeries on a large number of volunteers from the lower classes and was prosecuted for it. During the legal proceedings (1928?1931) and a disciplinary commission (1929?1936) that followed, biopolitically motivated concerns and objections that rooted in hurt feelings of masculinity were voiced. Analyzing this criticism and placing it within the discourses about contraception is one central aim of this study. Furthermore, the controversies between advocates and opponents of Schmerz that reached international scales and the impacts that the ?Schmerz affair? had on jurisdiction, scientific research and different social movements are examined.vorgelegt von Lukas PletzAbweichender Titel laut Übersetzung der Verfasserin/des VerfassersZsfassung in dt. und engl. SpracheGraz, Univ., Dipl.-Arb., 2014(VLID)25208