Von Sprüngen und Lücken sowie von grammatischer und logischer, kommunikativer Vollständigkeit: Zur Entwicklung des Ellipsenbegriffs in der deutschen Sprachtheorie (Mitte 18. Jh. -Anf. 20. Jh.)

International audienceZwischen der Mitte des 18. Jahrhunderts und dem Ende des 19. Jhs. werden in der deutschsprachigen Sprachtheorie ganz unterschiedliche Vorstellungen zur Ellipse formuliert. In dem chronologischen Verlauf lässt sich eine allmähliche Hinwendung und schließlich eine Konzentration auf text- und situationstheoretische Perspektiven beobachten, in denen der traditionelle rhetorische und grammatische Ellipsenbegriff explizit radikal in Frage gestellt wird. Im 18. Jh. begegnet man natürlich rhetorischen Ansätzen, die sich in die Tradition der antiken Sprachtheorie einschreiben und in deren Rahmen Ellipsen als ein Stilmittel zur Produktion "lebendiger", affektgeladener Texte angesehen werden, das zur Kürze und Prägnanz des Ausdrucks wesentlich beiträgt. Gleichzeitig entwickelt sich auf dem Hintergrund besonders allgemeingrammatischer Konzeptionen die Perspektive, in der der Ellipsenbegriff im Rahmen einer syntaktisch-semantisch definierten "Vollständigkeit" zur Erklärung von "Auslassungen" herangezogen wird. Ab der 2. Hälfte des 18. Jahrhundert werden darüber hinaus auch Ansätze pragmatisch-kommunikativer Ausrichtung formuliert, so z.B. von J. H. Lambert, der eine Theorie der "Lücke" und des "Sprunges" in Texten und in der Kommunikation skizziert, für deren Akzeptabilität er als Kriterien einerseits ontologische Bedingungen und andrerseits - modern gesprochen - Kohärenz und kommunikative Akzeptanz anführt (vgl. Lambert 1764, I: 8, II, 562; 1771, II: 85; 1782, 314, 326-335 et passim)). Ab dem 1. Drittel des 19. Jahrhunderts entsteht eine gegenüber den traditionellen grammatischen und rhetorischen Ansätzen kritische Diskussion, in der der Ellipse ihr bisher angenommener heuristisch syntaktisch-analytischer Wert immer deutlicher abgesprochen wird (z.B. Götzinger 1839, II: 17). In Texten, die Ende des 19. Jahrhunderts entstehen und in denen man heute häufig die theoretische Fundierung der modernen Pragmatik ansetzt, wird die grammatische und rhetorische Ellipsenkonzeption explizit und radikal verworfen, so z.B. von ähnlich Wegener (1885) und H. Paul (21886: 263,): "Misst man allemal den knapperen ausdruck an dem daneben möglichen umständlicheren, so kann man mit der annahme von ellipsen fast ins unbegränzte gehen. Bekannt ist der missbrauch, der damit im 16. und 17. jahrhundert getrieben wurde. Indessen war dieser missbrauch doch nur die weiter gehende durchführung von anschauungen, die auch jetzt noch in unseren grammatiken vertreten sind. Es gilt diesen massstab aufzugeben und jede ausdrucksform nach ihrer entstehung ohne hintragung von etwas fremdem zu begreifen." Diese Position wird u.a. von Mauthner (1913) aufgenommen, aber auch kritisch diskutiert von Wundt (vgl. 21904: 236-239). In meinem Vortrag wurde diese oben grob skizzierte Entwicklung des Ellipsenbegriffs in der deutschen Sprachtheorie an einigen Beispielen verfolgt und dabei u.a. der Frage nach Brüchen und Kontinuitäten nachgegangen. In diesem Rahmen wurde auch die Frage gestellt und z.T, beantwortet, ob und inwiefern sich die Positionen, die sich Ende des 19. Jh. entwickeln, auf Arbeiten ihrer Vorgänger stützten oder zumindest hätten stützen können