Der Brief an Philemon : Brieflektüre unter den kritischen Augen Aphias

Der Brief an Philemon wurde in seiner langen christlichen Auslegungsgeschichte immer wieder zur Legitimierung von Sklaverei und anderen Formen von Unterdrückung missbraucht. In Abgrenzung zu dieser Auslegungsgeschichte versucht der Beitrag eine Lektüre dieses Briefs, die diese Schuldgeschichte weder fortschreibt noch verdrängt, sondern sich kritisch mit ihr auseinander setzt. Indem diese Lektüre den Sklaven Onesimus ins Zentrum stellt, versucht sie einen Perspektivenwechsel, der es ermöglicht, anhand des Einzelfalles des Sklaven Onesimus das menschenverachtende System der Sklaverei zu entlarven und die Geschichte derer zu erzählen, die ohne Stimme und ohne Erinnern geblieben sind. Für diese Lektüre erhält die am Beginn des Briefes angesprochene Aphia eine besondere Bedeutung; denn diese Frau wird wie eine Zeugin zugunsten eines gerechten Umgangs mit dem Sklaven Onesimus angerufen. Mit ihr kommt das Beziehungsgeflecht einer ganzen Hausgemeinde ins Blickfeld, unter deren kritischem Blick der »Fall« des Sklaven Onesimus verhandelt wird. Diese kritische Öffentlichkeit wird von Paulus offenbar bewusst einbezogen, um sein Anliegen gegenüber Philemon durchzusetzen und die Alltäglichkeit von Unterdrückung und Ungleichheit zu durchbrechen