Funktionelle Magnetresonanztomographie bei der Anorexia nervosa - ein möglicher diagnostischer Marker bei adoleszenten Patientinnen

Hintergrund: Patienten mit der Diagnose einer Anorexia nervosa zeigen eine gestörte emotionale Verarbeitung von sozialen Informationen, die mit bekannten Defiziten der sozialen Interaktion im Zusammenhang stehen könnte. Einem möglichen Zusammenhang der Anorexie-typischen Komorbiditäten und einem veränderten kortikalen Pfad der Emotionsverarbeitung wurde noch nicht nachgegangen. Methoden: Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde ein Vergleich bei der Verarbeitung und dem Erkennen von Emotionen zwischen adoleszenten, anorektischen Patientinnen (N=15) und einer Stichprobe von 15 gesunden Kontrollen durchgeführt. Es erfolgte die diagnostische Einstufung der Essstörung (Eating Disorder Inventory-2) und eine psychopathologische Charakterisierung (Angst, Depression, Alexithymie) sowie die Erfassung des Erkennens der Emotionen auf Verhaltensebene (Facially Expressed Emotion Labeling-Test). Mittels funktioneller Magnetresonanztomographie wurde die Emotionsverarbeitung auf kortikaler Ebene mittels „Japanese and Caucasian Facial Expressions of Emotion“ (JACFEE) untersucht. Ergebnisse: Patientinnen unterschieden sich von der gesunden Kontrollgruppe hochsignifikant in den Skalen Depression, Alexithymie und State- und Trait-Angst. Die Psychopathologie korrelierte signifikant mit dem Ausmaß der Essstörung. Patientinnen konnten negative Emotionen, wie z.B. „Ekel“ weniger gut erkennen. Das weniger gute Erkennen korrelierte mit dem Vorhandensein einer Depression. Positive Emotionen wurden im Vergleich zu Gesunden besser erkannt. In dem Erkennen von Angst, Überraschung, Trauer und Ärger gab es keinen signifikanten Unterschied. Insgesamt war die Reaktionszeit von Benennen und Erkennen der Emotionen bei den Patientinnen kürzer als bei der Kontrollgruppe. Es zeigte sich eine Korrelation zwischen dem Charaktermerkmal „Perfektionismus“ (gemessen am EDI-2) und dem weniger guten Erkennen der Emotion „Ekel“ im Facially Expressed Emotion Labeling-Test. Patientinnen und Kontrollen aktivierten insgesamt sehr ähnliche Areale bei der Betrachtung aller Gesichter, unterschieden sich jedoch auch signifikant in einzelnen Arealen der Emotionsverarbeitung. Insbesondere bei der Wahrnehmung der Emotion „Ekel“ zeigte sich bei den Patientinnen eine verminderte Aktivierung des visuellen Systems (Lobus occipitalis, Brodmann-Areal 18, 19) im Vergleich zu der Kontrollgruppe. Insgesamt konnte eine Korrelation zwischen dem Ausmaß der Depressivität und der Aktivierung der Insel sowie der Trait-Angst und der Aktivierung im rechten Rolandischen Operkulum dargestellt werden. Zudem ließ sich eine Korrelation zwischen der Alexithymie und der Aktivierung für das linksseitige striäre und extrastriäre Areal feststellen. Diskussion: Bei der Betrachtung über alle Gesichter hinweg und vor allem für die Emotion „Ekel“ zeigte sich, dass Patientinnen in der Verarbeitung von Emotionen Defizite im kortikalen Muster zeigen, die die Defizite im Erkennen von Emotionen auf der Verhaltensebene erklären könnten. Die Korrelation von Anorexie-typischen Komorbiditäten (Angst, Depression, Alexithymie) und eine verstärkte Aktivierung linkshemisphärischer und damit nichtemotionsspezifischer kortikaler Strukturen, die mit der Wahrnehmung von negativen Emotionen, wie „Angst“, in Verbindung stehen, legt nahe, dass die Psychopathologie eng mit dem Verarbeitungsdefiziten im Zusammenhang stehen. Möglicherweise werden die Defizite in der (emotionsspezifischen) rechten Hemisphäre durch kompensatorische Aktivierung der linken Hemisphäre (als Ausdruck von verstärkt kognitiven Strategien) versucht auszugleichen. Diese Ergebnisse zeigen, dass Patientinnen mit Anorexia nervosa bereits in der Adoleszenz, in der Zeit, in der emotionale Regulationsmechanismen noch nicht voll ausgereift sind, veränderte kortikale Verarbeitungsmuster bei dem Wahrnehmen von Emotionen haben, die mit der gestörten emotionalen Verarbeitung im Zusammenhang stehen. Demnach könnten das kortikale Muster der Emotionsverarbeitung in der Diagnostik und das rechtzeitige Training von Emotionserkennung in der Therapie der Anorexia nervosa in Zukunft eine Rolle spielen