Der Einfluss von Erschöpfung und chronischem Stress auf den Rehabilitationserfolg beim chronischen Rückenschmerz

1.1 Hintergrund und Ziele Die medizinische Rehabilitation leistet im Gesundheitssystem einen wichtigen Beitrag zur Behandlung von Menschen mit Beeinträchtigungen ihrer Teilhabe am Arbeits- sowie am gesellschaftlichen Leben aufgrund ihrer Rückenschmerzen. Allerdings geriet in der Vergangenheit immer wieder die mangelnde Nachhaltigkeit der rehabilitativen Maßnahmen in die Kritik. Das Ziel der vorliegenden Studie lag in der Identifikation möglicher Subgruppen in dem heterogenen Gesamtkollektiv von Rehabilitanden mit chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen, indem der Einfluss von Erschöpfung und chronischem Stress auf die kurz-, mittel- und langfristige Effektivität und Nachhaltigkeit rehabilitativer Maßnahmen anhand ausgewählter Ergebnisvariablen untersucht wurde. 1.2 Methodik Im Rahmen eines quasi-experimentellen Prä-/Post-Follow-up-Designs mit 6- und 12-Monatskatamnese wurden Daten von n = 210 Rehabilitanden mit chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen erhoben, die in der Klinik Höhenried gGmbH ihre stationäre orthopädische Rehabilitation absolvierten. Die Erschöpfung wurde mit der Fatigue Skala (FS) und die Stressbelastung mit dem Trierer Inventar zum chronischen Stress (TICS) erfasst. Die Schwere der Rückenschmerzen wurde mittels der Schmerzgraduierung nach von Korff bestimmt. Zur Operationalisierung des Therapieerfolges wurden schmerzbezogene Variablen (aktueller, stärkster, durchschnittlicher Rückenschmerz, affektives Schmerzempfinden anhand einer Schmerzbeschreibungsliste), körperfunktionsbezogene Variablen (körperliche und psychische Summenskala des SF-12, Funktionskapazität Rücken (FFbH-R)) und teilhabebezogene Variablen (schmerzbedingte Beeinträchtigungen im Alltag, Beruf und in der Freizeit, Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage in den letzten 3 Monaten wegen Rückenschmerzen, subjektive Prognose der Erwerbstätigkeit) erhoben. Die Bestimmung der Ängstlichkeit und Depressivität (HADS-D) sowie der Patientenzufriedenheit mit der Rehabilitation (ZUF-8) diente dabei der Kontrolle von potentiellen Störvariablen. 1.3 Ergebnisse und Beobachtungen Knapp über 75 % der Rehabilitanden mit chronischen Rückenschmerzen waren zu Beginn der Rehabilitation klinisch erschöpft, 84 % überdurchschnittlich oder stark gestresst und 69.5 % waren zugleich relevant erschöpft und gestresst. Knapp 63 % wiesen dabei einen Schweregrad III oder IV der Schmerzgraduierung nach von Korff auf. Neben dem deutlich erhöhten Globalmaß für chronisch empfundenen Stress stellten sich als besonders relevant empfundene Stressoren die Arbeitsüberlastung, die Überforderung bei der Arbeit sowie der Mangel an sozialer Anerkennung heraus. Während die medizinische Rehabilitation kurzfristig eine deutliche Verbesserung der physischen Erschöpfung und des globalen Stressempfindens bewirkte, kehrte die globale Stressbelastung nach 6 und 12 Monaten wieder auf das hohe Ausgangsniveau zurück. Die mentale Erschöpfung zeigte hingegen nur eine Verbesserung mit geringer Effektstärke. Die körperfunktionsbezogenen Variablen zeigten über alle Erhebungszeitpunkte Verbesserungen mit mittleren bis starken Effektstärken, allerdings konnten für die schmerzbezogenen Variablen und für die teilhabebezogenen Variablen nur überwiegend schwache Effekte gemessen werden. Die erschöpften Studienteilnehmer wiesen zu Beginn der Rehabilitation eine signifikant höhere Intensität ihres aktuellen Rückenschmerzes als die nicht erschöpften auf und zeigten sich für die niedrigen Ausgangswerte der rückenspezifischen Funktionskapazität (FFbH-R) verantwortlich. Ein relevanter Einfluss der Stressbelastung ließ sich für das psychische Wohlbefinden beobachten: um so gestresster die Studienteilnehmer waren, desto geringer waren die Werte für die psychische Summenskala des SF-12 zu Beginn und am Ende der Rehabilitation. Die Tatsache, dass nicht ganz die Hälfte aller Rehabilitanden mit chronischen Rückenschmerzen ihre eigene Erwerbsprognose als gefährdet einstuften, konnten die rehabilitativen Maßnahmen nur kurzfristig positiv beeinflussen, nach 6 und 12 Monaten zeigten sich keine signifikanten Unterschiede mehr zur Selbsteinschätzung zu Beginn der Rehabilitation. 1.4 Schlussfolgerungen Die vorliegende Studie konnte eindrücklich belegen, dass eine klinisch relevante Erschöpfungssymptomatik und Stressbelastung bei orthopädischen Rehabilitanden mit Rückenschmerzen eine erhebliche Rolle spielen, weshalb es notwendig erscheint, das Ausmaß der Erschöpfung und des Stresses bei den Rehabilitanden zu erfassen und in das Behandlungskonzept miteinzubeziehen. Als besonders relevant haben sich dabei insbesondere arbeitsplatzbezogene Stressoren gezeigt. Die zumindest kurzfristig deutliche Verbesserung der körperlichen Erschöpfung und der globalen Stressbelastung zum Ende der Rehabilitation lässt sich am ehesten durch die Tatsache erklären, dass die rehabilitative Maßnahme unter stationären Bedingungen stattfand. Die nur geringe Verbesserung der mentalen Erschöpfung passt dabei zu dem insgesamt eingeschränkten psychischen Wohlbefinden der untersuchten Rehabilitanden mit chronischen Rückenschmerzen, wobei insbesondere die stark Gestressten einen problematischen psychischen Gesundheitszustand aufwiesen. Die auffällig häufigen Schweregrade III und IV bei der Graduierung der Rückenschmerzen nach von Korff wirft die Frage auf, ob Patienten mit Rückenschmerzen nicht generell zu spät Zugang zu einer medizinischen Rehabilitation erlangen. Insgesamt kann die Kritik an der mangelhaften oder gar fehlenden Nachhaltigkeit der Effekte einer Rehabilitation von Patienten mit Rückenschmerzen bestätigt werden. Ernüchternd fielen in diesem Zusammenhang die subjektiven Einschätzungen der eigenen Erwerbsprognose im zeitlichen Verlauf auf, einem zentralen Thema der Kostenträger von rehabilitativen Maßnahmen. Es scheint dringend notwendig der Frage nachzugehen, was sich hinter diesen pessimistischen Einschätzungen verbirgt, um mögliche Ansatzpunkte für gezieltere Rehabilitationsmaßnahmen zur Verbesserung der subjektiven Einschätzung der eigenen Erwerbstätigkeit von Rückenschmerzpatienten erarbeiten zu können