Vorläufer, Zeitgenossen und Pioniere: Über den Umgang der Soziologie mit ihren Klassikern

Die kognitive Identität der Soziologie ist fragmentiert. In der Kanonisierung des Klassischen bildet sie sich aus. In der Phase der Etablierung der Soziologie stabilisierten Klassiker im Typus des Vorläufers erstens die historische Identität aktueller Schulen. Später avancierten sie zweitens zu Zeitgenossen, deren Werke ihre Aktualität nicht verloren haben, und steuern darin zum Variationsreichtum der institutionellen Verankerung der Soziologie bei. Der Beitrag argumentiert, dass im ›anything goes‹ der gegenwärtigen Disziplin die Klassikerdiskussion drittens zur Erneuerung einer streitbaren kognitiven Fachidentität beitragen kann, wenn sie in historisch-epistemologischen Untersuchungen als Pioniere von Denkarten verstanden werden, deren Kenntnis den jeweiligen Zeitbezug der soziologischen Problemstellungen nicht streicht und insofern eine selektivere Orientierung im Labyrinth der Gegenwartssoziologie erlaubt. Sociology’s cognitive identity is fragmented. It has been evolving by canonizing its classics. On the one hand, as sociology became established, interpretations of its ›classics‹ as the predecessors of current schools of sociology stabilized the historical identity of the latter. On the other hand, the classics became more important as contemporaries whose works remain current and contribute to the multiplicities of its institutional anchoring. The article argues that in the current condition of ›anything goes‹ in sociology, the discussion of the classics has the capacity to contribute to the renewal of the discipline’s cognitive identity, if the classics are being interpreted as pioneers of modes of thought according to historical epistemology