Das prosodisch-akzentuelle System des Bosnischen, Kroatischen, Montenegrinischen, Serbischen aus einem funktionalen Blickwinkel

In der Arbeit werden theoretische Fragen zur Funktion des Akzents aus allgemeinlinguistischer Sicht sowie spezifische Fragen zum prosodisch-akzentuellen System des B., K., M., S. erörtert. Als theoretischer Ausgangspunkt dient in erster Linie die Akzentlehre des franz. Linguisten Paul Garde - mit einigen Änderungen und Ergänzungen, die den Ergebnissen der v. a. für die Rekonstruktion des Akzentsystems des Urslawischen (und der frühen Stadien der slawischen Einzelsprachen) bahnbrechenden Arbeiten der Moskauer akzentologischen Schule Rechnung tragen. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht die suprasegmentale Natur des Akzents, die im Verhältnis und in Abgrenzung zu den segmentalen Ebenen der Phonologie und Morphologie illustriert wird. Die von Garde 1968 meisterhaft erfasste negative Akzentuierung (Akzentuierung im Sinne des erst auf suprasegmentaler Ebene motivierten Nichtverlusts eines Distinktivmerkmals) wird im Hinblick auf die Tragweite etwaiger negativer Akzentvorgänge (NAV) und deren Verhältnis zu etwaigen positiven Akzentvorgängen (PAV) näher untersucht und anhand mehrerer Sprachen illustriert. Nach ersterem Kriterium werden totale und partielle NAV, nach letzterem Kriterium primäre und sekundäre NAV unterschieden. NAV werden als primär betrachtet, wenn sie in einer Sprache unabhängig von etwaigen PAV wirken; treten sie dagegen in direkter Abhängigkeit von PAV ein, so sind sie im Verhältnis dazu sekundär und können dann - je nach Sprache - entweder die Gesamtheit oder aber nur einen (stets im Verhältnis zu dem positiv akzentuierten Segment definierten) Teil der im positiven Sinne nicht akzentuierten Segmente erfassen (totale vs. partielle NAV). Anders als in Gardes Akzenttheorie werden die Produkte NAV in der vorliegenden Arbeit stets als eigenständige Sekundärphoneme betrachtet, und zwar unabhängig davon, ob sie in phonetischer oder zumindest morphologischer Hinsicht mit einem bestimmten Primärphonem assoziiert werden können. Dieser Ansatz ergeht aus der Natur der NAV, die durch ihre direkten privativen Auswirkungen auf die phonologischen Möglichkeiten (Eliminierung eines oder mehrerer Distinktivmerkmale) in bestimmten, stets im Verhältnis zur Position des im primär-negativen oder (im Falle sekundärer NAV) primär-positiven Sinne akzentuierten Segments einer Wortform definiert werden. Je nachdem, ob die aus NAV hervorgehenden Sekundärphoneme im morphologischen Vergleich grundsätzlich mit einem bestimmten Primärphonem in Verbindung gebracht werden können oder nicht, wird zwischen grundsätzlich reponiblen und systematisch irreponiblen Sekundärphonemen unterschieden. In den meisten Sprachen, die NAV kennen, ist eine zumindest partielle Reponibilität der Sekundärphoneme gegeben, so z. B. im Russ. (ausführlich dargestellt). Zu den typologisch eher seltenen Sprachen mit systematisch irreponiblen Sekundärphonemen zählt das Deutsche in seiner "Standardlautung" (nicht aber in der "Überlautung", wo Schwa durch einen e-Laut ersetzt wird; ausführlich dargestellt) In der modernen, morphologisch konzipierten Akzentologie sind die Kriterien der morphologischen Segmentierung von zentraler Bedeutung: wenn nämlich in Sprachen mit sog. freiem Akzent die einzelnen morphologischen Bestandteile (zumindest die vollwertigen Morpheme) als Träger akzentueller Eigenschaften betrachtet werden, versteht sich von selbst, dass die korrekte Interpretation der akzentuellen Konfiguration einer jeden Wortform nur auf der Grundlage einer kohärenten, d. h. auf das gesamte morphologische System einheitlich angewandten morphologischen Segmentierung gelingen kann. Erstmals (soweit dem Autor bekannt) wird der Standpunkt vorgetragen, dass nicht nur "vollwertige" (derivativ ermittelte) Morpheme, sondern auch "Formantien" und "Submorphe" (morphemisch-distributiv ermittelte Segmente) über eigene akzentuelle Eigenschaften verfügen können. Im Vokalismus des B., K., M., S. werden folgende Fragen erörtert: (1) die Quantität; (2) die Abgrenzung der in bestimmten Positionen schon rein phonetisch instabilen nicht-vokalischen Laute i̯ j zu den zweifelsohne phonematischen Vokalen i und ī, wofür - zusätzlich zu phonetischen und phonologischen Aspekten - auch morphonologische Aspekte Berücksichtigung finden; (3) die Frage des Status der silbischen Sonanten ṛ und ṝ im Verhältnis zum nichtsilbischen r; (4) die nach Ansicht des Autors nur unter Berücksichtigung des gesamten Vokalismus zu klärende Frage der Existenz eines phonemischen Diphthongs i̯ē im B. und K. sowie (5) das damit in engem Zusammenhang stehende thematische Komplex der Reflexe des urslaw. Vokals ě (jatâ), wobei die Unterschiede zwischen der heute noch für das M. und S.-ijekav. geltenden klassischen ijekav. Norm und der neueren orthoepischen Norm des B. und K. beachtet worden.Klaus EbertDr. phil.Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Dissertation, 2017OeBB(VLID)439214