Die Ästhetik der Unsichtlichkeit bei J. G. Herder

Am Anfang seiner Metaphysica\u27 schrieb Aristoteles, daß sich alle Menschen von Natur aus nach dem Sehen und Wissen (του ειδεναι) sehnen. Den Grund dafür fand er in der Freude an den Sinnen, vor allem am Gesicht. Denn das Sehen (τοοραν) läßt uns am besten die Sache erkennen und macht die Verschiedenartigkeit klar sichtbar (δηλοι). Es ist gleich sowohl mit jedem empirischen Sehen und Wissen als auch mit dem theoretischen Wissen, das über die bloße Erfahrung heraus noch die erste Ursache einzusehen versucht. Dieses Sehen oder Einsehen besteht darin, im Dunkel der noch formlosen sinnlichen Materie einen möglichst klaren Umriß des allgemeinen Eidos zu finden, und weiter den ganzen Gesichtskreis unter der übersinnlichen Perspektive anzuordnen. Daß die Tradition des europäischen Wissens auf das Sehen und auf die Perspektive des damit gesehenen Eidos gegründet ist, gilt auch für die Ästhetik, die vor allem die Sinnlichkeit (αισθησις) selbst als den Gegenstand der philosophischen Reflexion thematisieren soll. So könnte man, nicht ohne Grund, von neuem zweifeln, ob viele Aporien der überlieferten Ästhetik, oder mindestens einige davon von dem methodischen Selbstwiderspruch herrührt, die eigentlich als solche zu genießenden sinnlichen mannigfaltigen Erscheinungen eindeutig nur auf jenes Sehen nach dem Eidos\u27 zurückzuführen. Und zwar würde damit zugleich eine ontologische Frage gestellt, wenn die Neigung zu diesem Sehen eine gründlichste Verfassung des menschlichen Daseins ist